Anatomie der Farbe

Albert Merz

Malerei

Albert Merz Salome © Albert Merz
Albert Merz, Salome © Albert Merz

Ausstellung 
vom 31. Mai bis 16. August 2015 

Eröffnung
am 31. Mai 2015 | 12 Uhr

Begrüßung
Dagmar König, Bezirksstadträtin
Anne-Catherine Jüdes, Stiftung St. Matthäus

Einführung
Elke von der Lieth, Kommunale Galerie Berlin
Susanne Buckesfeld, stellv. künstl. Leiterin Kunstmuseum Ahlen

Das gemeinsame Ausstellungsprojekt lädt ein zur Kunstbetrachtung an zwei Orten. Das Bildspektrum reicht von der fotorealistischen Darstellung bis zur konkreten Malerei. Beide Ausstellungen stellen die stetige Wiederkehr von Schöpfung und Vernichtung in den Mittelpunkt. 

Ausgangspunkt für den achtteiligen Zyklus „Salome - Anatomie eines Tanzes“ ist das Gemälde von Lucas Cranach d.Ä., Salome mit dem Haupt Johannes des Täufers (1526-1530) 
„Als ich auf Salome mit dem Johanneskopf stieß, war ich wie kurzgeschlossen. Wie ich dann noch mehr über die Geschichte erfuhr, empörte ich mich über das Zusammenspiel von Macht, Eros, Intrige, Verblendung und Hinterhältigkeit. Ebenso trieb mich die Erkenntnis, dass es heute nicht besser ist, eine Serie über dieses Thema zu malen.“ Albert Merz 

Der Zyklus, bestehend aus sieben Diptychen und einem Einzelbild, thematisiert das Schicksal von Johannes des Täufers und seine Aktualität bis in die Gegenwart. In der Serie löst sich der Künstler zunehmend von der historischen ( und üblichen ) Darstellung über das Todes-Symbol der leeren Johannesschüssel zur Ellipse hin. In den Diptychen stehen die realistischen Bildzitate auf der rechten Bildhälfte den abstrakten Interpretation des Themas auf der linken Bildseite gegenüber. Mit der Auswahl des Doppelbildes als Bildformats unterstreicht und kommentiert er den kontroversen Inhalt des Mythos. 
In der Ausstellung „Anatomie der Farbe“ dominieren intensive Farben und abstrakte Formen die Bildwerke. Dennoch verfolgt er auch in diesen Werken konsequent den stetigen Prozess menschlichen Seins, der in der Serie „Vom Werden und Vergehen“ seinen Ausdruck findet und mit dem Werk Lebensfaden seinen Anfang hat. Für die Ausstellung entstand die Reihe STILL, im kleineren Format, die Farben leuchtend pink und orange auf schwarzem (Ab)-Grund. Albert Merz gelingt der Aufbruch in neue Räume – spielerisch, sinnlich und mit großer Intensität. Ein großer Gewinn für die Betrachter, die mit dem Künstler die Stufen vom Sichtbaren zum Unsichtbaren hinab schreiten. 


Für die Ausstellung in der Kommunalen Galerie Berlin hat Alert Merz eine großformatige Wandarbeit im Foyer realisiert. 


Die Ausstellung findet an zwei Orten statt - in der Kommunalen Galerie Berlin und in der Kirche Am Hohenzollerplatz.

Ausstellung Kirche Am Hohenzollernplatz 
Salome - Anatomie eines Tanzes 
vom 27. Mai bis 25. Oktober 2015 
Eröffnung 
am 27. Mai 2015 | 18 Uhr 
im Rahmen des Kunstgottesdienstes „Mein Psalm 2015“. 
Der Künstler ist anwesend. 
Die Kunstausstellung ist ein gemeinsames Projekte der Stiftung St. Matthäus, der Kulturstiftung der EKBO, dem Kunstbeauftragten der EKBO und der Kirche Am Hohenzollernplatz 
Kirche Am Hohenzollernplatz 
Nassauische Straße 66, 10717 Berlin 
www.stiftung-stmatthaeus.de 
Öffnungszeiten: 
Dienstag, Donnerstag, Freitag 14 - 18 Uhr 
Mittwoch, Samstag 11 - 13 Uhr 
Der Eintritt ist frei. 


Veranstaltungen zu den Ausstellungen

Mittwoch, 17. Juni 2015 | 18 Uhr
Einführung in die Veranstaltungsreihe „Drei Orte für die Kunst“
Kirchenraum / Museum / White Cube
Elke von der Lieth, Leiterin Kommunale Galerie Berlin
Veranstaltungsort: Kommunale Galerie Berlin Hohenzollerndamm 176, 10713 Berlin 

Dienstag, 4. August 2015 | 16 Uhr
Führung
Meisterwerke Lucas Cranachs des Älteren, des Jüngeren und ihrer Werkstatt
Veranstaltungsort:
Jagdschloss Grunewald SPSG Hüttenweg 100 (am Grunewaldsee), 14193 Berlin
Begrenzte Teilnehmerzahl; Anmeldung unbedingt erforderlich

Sonntag, 16. August 2015 | 15-17 Uhr
Finissage, Der Künstler ist anwesend
Veranstaltungsort: Kommunale Galerie Berlin Hohenzollerndamm 176, 10713 Berlin

Donnerstag, 17. September 2015 | 19 Uhr
Künstlergespräch im Rahmen der Berlin Art Week
Christhard-Georg Neubert, Kunstbeauftragter der EKBO und Albert Merz
Veranstaltungsort: Kirche Am Hohenzollernplatz Nassauische Straße 66, 10717 Berlin 


Albert Merz, Lebensfaden 3, 2015, 100 cm x 80 cm © Albert Merz
Albert Merz, STILL 19, 2014, 60 cm x 80 cm © Albert Merz

Susanne Buckesfeld, Kunstmuseum Ahlen
Einführung in die Ausstellung ALBERT MERZ: Anatomie einer Farbe 

Es freut mich sehr, Sie heute hier in der Kommunalen Galerie Berlin in die aktuelle Ausstellung von Albert Merz einführen zu können. Mit der Präsentation seiner jüngsten Arbeiten in den schönen Räumen hier am Hohenzollerndamm schließt sich buchstäblich ein Kreis für den Schweizer Künstler, der seit nunmehr 35 Jahren in Berlin lebt und arbeitet – hat er doch unweit von hier, an der damaligen Hochschule der Künste, von 1980-85 bei Horst Hirsig studiert. Auch seine ersten Einzelausstellungen in West-Berlin wurden von der damals in der Nähe gelegenen Galerie Lietzow ausgerichtet, im fast jährlichen Rhythmus, bis zu deren Schließung im Jahre 1991. Doch nicht nur die Orte Berliner Kunstgeschichte, die sich hier gleichsam kreuzen, sind die Gründe dafür, dass die Ausstellung in meinen Augen einen Höhepunkt im künstlerischen Werdegang von Albert Merz darstellt. Dies liegt auch und vor allem in seinen Arbeiten selbst begründet, die in jüngster Zeit zu einer beeindruckenden Kraft und Frische gefunden haben. Die konsequente Weiterentwicklung seines Bildvokabulars findet hier zu überzeugender Reife – nicht ohne gleichzeitig in die Zukunft zu verweisen, so dass man neugierig darauf sein darf, wie es in der Kunst von Albert Merz weiter gehen wird. 

In den neuen Arbeiten zeigt sich eine rigorose Verdichtung des bereits in früheren Werkphasen Erarbeiteten. Der aktuelle Bilderkosmos von Albert Merz führt heterogene Bildelemente schlüssig zusammen, indem er sie viel stärker als bisher einer Reduktion unterwirft. Zunächst einmal lässt sich seine wohl bekannte und klar umsteckte Bildsprache identifizieren: Monochrom angelegte Bildgründe sind die Bühne für ein vielsagendes Bildgeschehen, das aus einem zunächst genau definierten, begrenzt erscheinenden Motiv- Repertoire besteht, so zum Beispiel den Lebenslinien, die blitzartig ins Bild einbrechen, oder miteinander verwobenen Netzstrukturen, die sich großflächig über das Bild ziehen, manchmal aber auch eine konzentrierte Häufung von Punkten miteinander verbinden, außerdem den verschiedenen organisch anmutenden Elementen, die an Pflanzen erinnern und schon lange in verschiedenen Variationen, als Äste, Blätter oder Stämme, ein zentrales Motiv in der Kunst von Albert Merz darstellen. 
Darüber hinaus sind neue Bildelemente hinzugekommen, geometrische Körper, die im Gegensatz zu den der Natur nachempfundenen Motivgruppen seinen Werken ein konstruktives Moment verleihen. Durch ihre für die Malerei von Albert Merz so ungewöhnliche Farbigkeit mit hellen Pink- und Rosatönen erscheinen diese unregelmäßigen, ja unlogischen Gebilde wie künstliche Fremdkörper in der sonst überwiegend den Gesetzen der Natur verschriebenen Bildwelt. Selbst wenn Merz auch früher bereits Quaderformen verwendete, so weisen diese in den neuen Arbeiten doch eine nie gekannte Exaktheit auf, wie sich etwa zeigt, wenn man die aus der Geste der Hand entstandenen beiden Quader auf dem Bild „ohne Titel“ von 2007 vergleicht mit den scharf konturierten Körpern auf den Arbeiten „Dämmerung“ und „Limit“ aus diesem Jahr. 

Merz, der ursprünglich Zeichner ist, wird in diesen Arbeiten zugleich grafischer und malerischer. Erinnert man sich an den vergleichsweise rohen, gestischen Farbauftrag früherer Jahre, wird die zunehmende Schärfung der Formulierungen als Punkte, Linien, Flächen deutlich – den elementaren grafischen Bildmitteln. Demgegenüber hat Merz die Anlage amorpher Farbnebel, die seinen Gemälden schon seit mehr als zehn Jahren einen kosmischen Anstrich verleihen, in den aktuellen Arbeiten zur Perfektion getrieben, was den Bildtafeln eine größere malerische Qualität verleiht. Merz lässt an diesen Stellen Lackfarbe mit Wasser reagieren und überlässt damit ein Stück weit dem Zufall das Feld. Mittlerweile versteht er die chemische Reaktion allerdings so gut zu lenken, dass sich außerordentlich überzeugende Resultate ergeben: Feiner Farbnebel ergießt sich wie Staub auf die monochrome Bildfläche und verleiht dem schwarzen oder weißen Farbgrund eine anziehende räumliche Tiefe. Der Prozesscharakter dieses malerischen Vorgangs bleibt sichtbar und kann in der Betrachtung aktiv nachvollzogen werden: die feinen Farbspritzer scheinen sich immer weiter in den unendlich wirkenden Bildraum auszubreiten, bis sie sich einmal völlig aufgelöst haben könnten. Es entsteht der Eindruck, dass es sich um eine chemische Reaktion handelt, die noch nicht abgeschlossen ist, zumal keinerlei feste Konturen sie umgrenzt und einhegt. 
Nicht nur mit diesen malerischen Mitteln gelingt es Albert Merz, eine suggestive Bildräumlichkeit zu evozieren. Auch die kontrastreiche Farbigkeit trägt zur räumlichen Wirkung der Bildtafeln bei. Besonders auf den schwarzgrundigen Gemälden treten die weißen Lebenslinien und farbigen geometrischen Gebilde hell leuchtend in den Vordergrund. Dabei ist es die starke Reduktion der Bildmittel, die für die größere räumliche Wirkung verantwortlich ist: konzentriertere Formationen und größere Freiflächen treten stärker in einen Dialog zwischen Figur und Grund, als es bei den älteren Arbeiten der Fall ist, so dass sich eher der Eindruck von Dreidimensionalität ergibt. Um eine vergleichbare Wirkung auf hellem Bildgrund zu erzeugen, fügt Merz beispielsweise der dunklen, baumartigen Struktur, die das Gemälde „Bündelung“ von 2015 dominiert, leicht versetzt sozusagen ein hellgraues visuelles Echo hinzu, das wie ein Schatten auf dem von lichten Farbwolken durchzogenen Bildgrund sitzt und Vorne und Hinten klar definiert. Zudem ergibt sich durch diese gestalterischen Mittel eine größere Offenheit der Binnenstruktur, die solcherart überaus dynamisch erscheint. In der Interaktion der einzelnen Bildelemente ergibt sich stets der Eindruck, dass wir Zeuge eines unabgeschlossenen Bildgeschehens sind und im Unklaren darüber gelassen werden, was sich als nächstes ereignen könnte. 

Wem die Kunst von Albert Merz schon länger bekannt ist, dem wird auffallen, dass der Künstler diesmal ausnahmsweise keinerlei Diptychen gemalt hat, sein bevorzugtes Bildformat. Auch wenn hier in der Kommunalen Galerie oftmals zwei gleichformatige, quadratische Bildtafeln nebeneinander hängen, so handelt es sich doch jedes Mal um Einzelbilder. Der Dualismus, den Merz sonst gern in der zweiteiligen Bildstruktur der Diptychen angelegt hat, ist nun in der Komposition der Einzelbilder aufgegangen. Dünne, scharf konturierte Linien oder geometrische Körper kontrastiert er mit amorphen Gebilden, Vierecke mit Kreisen, Hell mit Dunkel, Gerade mit Krumm, Ordnung mit Chaos. Innerhalb des Bilderkosmos von Albert Merz scheinen diese Gegensätze, die es gilt, miteinander in Einklang zu bringen, über die zeitlosen Gesetzmäßigkeiten des Lebens Auskunft zu geben. In dieser Hinsicht gelingt es dem Künstler in seinen neuen Arbeiten, die Balance zwischen asymmetrischer Spannung und harmonischer Bildanalage auf in meinen Augen hervorragende Weise zu bewahren. 
Was die Beweggründe für sein klar umrissenes Bildvokabular angeht, teilt Albert Merz mit seinem Lehrer Horst Hirsig den grundsätzlichen künstlerischen Ansatz, Zeichen für das zu finden, was sich hinter dem Erfahr- und Sehbaren verbirgt (Aus einem Interview mit Horst Hirsig, ohne Jahr, Quelle: features.culture-to-go.com/m_walk_hirsig.html) – freilich mit völlig von dem einstigen Lehrer losgelösten, ganz und gar eigenständigen Ausdrucksmitteln. So verweisen auch die Bildelemente auf den Gemälden von Albert Merz auf einen Bedeutungshorizont, der außerhalb des Bildes liegt und übergeordnete Relevanz besitzt, wie einige Bildtitel, etwa „Bausteine“, „Keim“, „Begegnung“ oder „Kreislauf“ andeuten. Sie belegen, dass es die großen Fragen nach dem Kreislauf des Lebens sind, das Werden und Vergehen, Leben und Tod, die es Merz auf mehreren Ebenen gelingt, zur Darstellung zu bringen. Die überwiegend grafische Auffassung seiner Motive täuscht indes darüber hinweg, dass es sich bei dem Bildvokabular von Albert Merz weniger um festgelegte Zeichen handelt, die im Sinne einer individuellen Mythologie eindeutig auf einen vom Künstler festgelegten Inhalt verweisen. Vielmehr ist es so, dass die Bedeutungen dieser bildhaften Zeichen variieren können und ihnen in unterschiedlichen Bildzusammenhängen neue, teils völlig konträre Lesarten verliehen werden. Dies zeigt sich etwa an der Form der Ellipse, die dem Motiv des Gefäßes entspringt und vom Sinnbild für die Fülle des Lebens in letzter Zeit zum totbringenden Bildelement geworden ist. Beispiel hierfür ist das Gemälde „Lebensfaden“ von 2011, das den Endpunkt der Salome-Serie von Albert Merz darstellt, die derzeit in der Kirche am Hohenzollernplatz ausgestellt ist und auf die ich an dieser Stelle kurz eingehen möchte. 

Albert Merz bearbeitet den biblischen Salome-Stoff auf der Grundlage von Lucas Cranachs „Salome mit dem Haupt Johannes des Täufers“, das 1526-30 entstanden ist. Als er das Gemälde einmal in einer Ausstellung erblickte, empörte ihn die unverfrorene Gewalt der Geschichte, bei die junge Salome im Namen ihrer Mutter von König Herodes den Kopf des gefangenen Predigers fordert. In seiner eigenen Bearbeitung reduziert Merz den Stoff auf das Grundmotiv der Geschichte. Obwohl die Serie nach der Protagonistin und ihrem Tanz benannt ist, steht allein die Johannesschüssel im Zentrum des Interesses; die Figur der Salome ist mit einer Ausnahme aus der Darstellung vollständig eliminiert. Die Cranach’sche Schüssel löst Merz mit Hilfe digitaler Bildbearbeitung aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang, wie es auch auf dem Gemälde „Lebensfaden“ hier in der Ausstellung zu sehen ist, um sie in einen völlig neuen malerischen Kontext zu setzen. Während auf der linken Seite der Diptychen abstrakte Formulierungen auf weißem Bildgrund zu sehen sind, werden diese auf der rechten Seite durch Bildzitate der Cranach’schen Darstellung kommentiert. Sichtbar wird in den insgesamt sieben Diptychen das grauenhafte Resultat des Tanzes: der vom Rumpf getrennte Kopf Johannes des Täufers und die Schüssel, die auf vier der Doppel-Tafeln sogar leer erscheint. Diese leere Schüssel stellt auf geradezu plakative Weise eine Klage über die sinnlose Vernichtung eines Lebens dar. Im Werk von Albert Merz einst für Weiblichkeit, Fülle und Fruchtbarkeit stehend, bedeutet die unausgefüllte Schüssel nun stattdessen Leere und Tod. 

Im Unterschied zu den Bildern der Salome-Serie ist das Gemälde „Lebensfaden“ hier mit einer tendenziell stärker verschlüsselten Bildsprache angelegt worden, die auch unabhängig vom Salome-Stoff funktioniert und andere, allgemeinere Deutungen erlaubt. Es zeigt sich, dass den einzelnen Bildelementen in den Gemälden von Albert Merz eine Uneindeutigkeit und ein Bedeutungsüberschuss zu eigen ist, die ihnen eine symbolische Funktion innerhalb des Bildes zuweisen. So füllt sich der ellipsenförmige Teller erneut in der Serie „Still“ aus dem Jahr 2015 – dieses Mal mit konstruktiven Elementen, die gegenüber dem Natürlichen das Schöpferische und Menschengemachte in den Vordergrund rücken. Mit seinem speziellen symbolischen Bildinstrumentarium ist der Künstler dem auf der Spur, was das menschliche Leben grundsätzlich ausmacht und in seiner Sicht unabhängig von Zeiten und Räumen Gültigkeit besitzt. Die letztlich immer ein Stück weit rätselhaft bleibenden Bildsymbole ermöglichen es ihm dabei, elementare Strukturen unserer Existenz zugleich aufzudecken und sie in ihrer Unergründbarkeit zu belassen. 

Aus diesem Grunde sollten die Bildwelten von Albert Merz meines Erachtens nicht bis ins Letzte ausgedeutet werden. Sind in dem Wandbild im Erdgeschoss bereits früher verwendete Elemente wie der Ausguss, in den das Leben des Johannes entfließt, mit den Lebenslinien verbunden, die hier aus ihnen aufsteigen und sich dynamisch nach oben bewegen, dann hat sich erneut ein Bedeutungswechsel vollzogen, der keineswegs sozusagen Wort für Wort entschlüsselt werden sollte. Auch ohne den Hintergrund der Salome-Serie zu kennen, vermittelt sich die optimistische Kraft des Wandbildes, das hier stellvertretend für einen wichtigen Teil im Werk Albert Merz‘ steht – nämlich den zahlreichen architekturbezogenen Arbeiten im Innen- und Außenraum. Kennzeichen der symbolischen Bildsprache ist es ja gerade, dass sie einen unergründlichen Rest besitzt, der immer neue Bedeutungszuschreibungen zulässt und letztlich nicht eindeutig zu ermitteln ist. Hier sollte die Interpretationsbewegung einmal zu ihrem Ende kommen, um der sinnlichen Kraft der Malerei von Albert Merz den ihr zustehenden Raum zu überlassen. Mit Susan Sontag, der amerikanischen Essayistin, die 2003, im Jahr vor ihrem Tod, den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten hatte, möchte ich meine Ausführungen schließen. In ihrer Schrift „Against Interpretation“ [dt.: Gegen Interpretation] von 1964 schreibt sie: „Die Interpretation [ist] die Rache des Intellekts an der Kunst. (…) Interpretieren heißt die Welt arm und leer machen – um eine Schattenwelt der ‚Bedeutungen‘ zu errichten.“ (Susan Sontag: Gegen Interpretation, in: Susan Sontag: Kunst und Antikunst, München/Wien 1980, S. 13) Sie schlussfolgert daraus: „Statt einer Hermeneutik brauchen wir eine Erotik der Kunst.“ (Ebd., S. 18.) Es geht ihr darum, ein Kunstwerk sinnlich wahrzunehmen, sein Geheimnis nicht zu entbergen, sondern seine Anziehungskraft zu spüren, ohne sie durch interpretatorische Entschlüsselung zu entschärfen und letztlich zu zerstören. Deshalb ende ich nun schleunigst meine Ausführungen, um Sie mit Susan Sontag einzuladen, die Malerei von Albert Merz vor allen Dingen sehend und empfindend zu durchdringen.