Zwischen eigener Sicht und authentischer Realität

Das Lebenswerk der Berliner Autorenfotografin Hildegard Ochse
Kuratiert von Tina Sauerländer in Zusammenarbeit mit Benjamin Ochse

Fotografie

Hildegard Ochse, aus der Serie „Aspetti di Berlino“, 1982
Hildegard Ochse, aus der Serie „Aspetti di Berlino“, 1982

Ausstellung
vom 6. November 2015 bis 14. Februar 2016

Eröffnung
am Donnerstag, 5. November 2015 | 18 Uhr

Begrüßung
Dagmar König, Bezirksstadträtin
Elke von der Lieth, Kommunale Galerie Berlin
Benjamin Ochse, Kurator des biografischen Teils der Ausstellung
Tina Sauerländer, Kuratorin der Ausstellung

Hildegard Ochse interessierte sich nicht für das Schöne, sie mochte das Authentische. Berlin hasste und liebte sie, fand es schön und gleichzeitig hässlich, vor allem aber lebendig. „Wir haben viele Probleme, aber die werden nicht hinter einer schönen Fassade versteckt wie anderswo“, schrieb sie im Jahr 1985 über die Stadt, in der sie seit 1973 bis zu ihrem Tod im Jahr 1997 lebte. Ihre fotografischen Serien stellen ein Sinnbild für größere Zusammenhänge dar. Die Bilder von Menschen auf den Straßen Berlins sind eine symbolische Darstellung der Großstadt, die Isolation, Härte und Verzweiflung als einen Teilaspekt der Stadtkultur schildert. 

Hildegard Ochse war 43 Jahre alt, als sie sich für eine professionelle Karriere als Fotografin entschied. Von 1975 an besuchte sie Fotografie-Kurse, später an Michael Schmidts berühmter „Werkstatt für Photographie“ in Berlin-Kreuzberg. Sie nahm dort an Workshops renommierter amerikanischer Fotografen teil, darunter Lewis Baltz, Ralph Gibson oder Larry Fink. In Deutschland veränderte sich in dieser Zeit der künstlerische Stellenwert von Fotografie, besonders nachdem auf der Kasseler Kunstausstellung „documenta 6“ im Jahr 1977 fotografische Arbeiten umfangreich ausgestellt worden waren. 
Von 1981 an fotografierte Hildegard Ochse u.a. die „Großstadtkirchen“ für den Herder-Verlag oder die Mitarbeiter der Königlichen Porzellan-Manufaktur in Berlin. Die Ausstellung „Zwischen eigener Sicht und authentischer Realität“ beschäftigt sich mit der Entwicklung einer eigenen Bildsprache der Fotografin. Sie widmet sich den Serien, die unabhängig von kommerziellen Aufträgen entstanden sind, darunter die „Stadtvegetation“, „Gastland Bundesrepublik Deutschland“, „Aspetti di Berlino“ oder „Derental“. Die fotografischen Arbeiten von Hildegard Ochse reflektieren gesellschaftliche Strukturen und stellen Sinnbilder sozialer oder kultureller Zusammenhänge dar – in schwarz-weiß, ohne Verzerrungen und ohne ungewöhnliche Bildausschnitte. 

Hildegard Ochse ging es um die Darstellung von authentischer Realität und alltäglicher Lebenswirklichkeit. Sie war sich bewusst, dass Fotografien nicht nur ein Abbild der Wirklichkeit sind, sondern „inhaltlich und ästhetisch relevante Arbeit“ leisten sowie neue Sehweisen und Interpretationen liefern. Mit dieser Haltung, ihrer Themenwahl und Bildsprache steht sie der „Autorenfotografie“ sehr nahe. Der renommierte Kunsthistoriker und Kurator Klaus Honnef prägte den Ausdruck in den 1970er Jahren. Er bezieht sich damit auf Fotografen, die ihre Sicht auf die Wirklichkeit nach streng dokumentarischen Prinzipien wiedergeben, um eine authentische Realität im Foto zu schaffen. Über die Arbeiten von Hildegard Ochse schreibt Klaus Honnef an die Kuratorin der Ausstellung, Tina Sauerländer: „Meine damaligen Überlegungen zur Autorenfotografie treffen auf das Werk der Fotografin Hildegard Ochse mehr zu als auf die Werke der Kunstfotografie, die sich meinen Begriff völlig zu eigen gemacht hat.“

Porträt von Hildegard Ochse, Rochester, NY, USA, 1952 (Fotograf unbekannt)
Porträt von Hildegard Ochse, Rochester, NY, USA, 1952 (Fotograf unbekannt)

Über den biografischen Teil der Ausstellung 
Die Ausstellung „Zwischen eigener Sicht und authentischer Realität“ präsentiert erstmals eine umfangreiche Aufarbeitung des biografischen Werdegangs von Hildegard Ochse (1935-1997), die aus einem streng katholischen, gutbürgerlichen und intellektuellen Bildungshaushalt stammte. Zu ihren späteren Freunden zählten der Kunsthändler Kurt Hans Cassirer sowie dessen Frau und Kunstmäzenin Eva Solmitz. Hildegard Ochse reiste bereits als 16-jährige 1952 mit einem Stipendium für Hochbegabte in die USA und absolvierte dort 1953 ein Highschooljahr mit Abschluss in Rochester, New York. Dort wurde kurz zuvor, im Jahr 1949, das weltweit erste Museum für Fotografie, das „George Eastman House International Museum of Photography and Film“ eröffnet. Im Juni 1953 kehrte Hildegard Ochse auf dem italienischen Passagierschiff „Andrea Doria“ nach Europa zurück. In dieser Zeit entstanden bemerkenswerte, frühe fotografische Aufnahmen in New York.

Ein weiterer Fokus in der Ausstellung liegt auf Hildegard Ochses fotografischem Umfeld und ihrer Zeit in Michael Schmidts „Werkstatt für Photographie“. Des Weiteren wird die Präsentation ergänzt um einen umfangreichen Dokumentarfilm über das Leben und Werk von Hildegard Ochse, sowie wichtige wiederentdeckte Zeitdokumente aus ihrem Leben. 

Begleitprogramm zur Ausstellung 
Mittwoch 02.12.2015, 18 Uhr: 
Kuratorenführung mit Tina Sauerländer 
Sonntag 06.12.2015, 14 Uhr: 
Führung mit biografischem Schwerpunkt mit 
Benjamin Ochse 
Sonntag 17.01.2016, 15 Uhr: 
Führung mit Benjamin Ochse und Tina Sauerländer

Between Her Own Viewpoint and Authentic Reality 

The Photographic Oeuvre of Hildegard Ochse

Curated by Tina Sauerländer
In collaboration with Benjamin Ochse

Opening
November, 5 2015, 6 pm 

Exhibition
November 6, 2015, until February 14, 2016
Closed on December 24, 2015 until January 3, 2016


Hildegard Ochse was not interested in beauty; she liked the authentic. She loved and hated Berlin, saying it was beautiful and ugly at the same time, but above all Berlin was vivid and vibrant to her. “We have many problems, but don’t hide them behind a beautiful facade as elsewhere,” she wrote in 1985 about the city in which she lived in from 1973 on until her death in 1997. Her photographic series are always symbolic of larger context. The images of people on the streets of Berlin represent isolation, harshness and despair as a partial aspect of urban culture. 

Hildegard Ochse was 43 years old when she opted for a professional career as a photographer. From 1975 on she attended photography courses, later at the famous “Werkstatt für Photographie” in Berlin-Kreuzberg, founded by Michael Schmidt. She took part in workshops of renowned American photographers, including Lewis Baltz, Ralph Gibson and Larry Fink. In this time the artistic value of photography changed, particularly after 1977 photographic works were exhibited extensively at the Kassel art exhibition documenta 6. 

From 1981 on Hildegard Ochse photographed the series Großstadtkirchen (Churches of the City) for the Herder publishing house or the staff of KPM (Royal Porcelain Factory) in Berlin. The exhibition Between Our Own Viepoint and Authentic Reality now focuses on the development of her visual language as a photographer. The exhibition is dedicated to her work that has arisen independently of commercial contracts, including the series Stadtvegetation (urban vegetation), Gastland Bundesrepublik Deutschland (Host country Federal Republic of Germany), Aspetti di Berlino (aspects of Berlin) or Derental. The photographic works of Hildegard Ochse reflect social structures and are symbols of social or cultural conditions—photographed in black and white, without distortion and without unusual image sections. 
Hildegard Ochse was concerned with the the depiction of authentic reality and everyday life. She was aware that photographs are not just a reflection of world, but create their own content, aesthetics and new ways of seeing as well as interpretations of reality. With her attitude towards photography, her selection of themes and her visual language she works in the tradition of Autorenfotografie. The renowned German art historian and curator Klaus Honnef coined the term in the 1970s. It refers to photographers that reflect their own view of reality according to strictly documentary visual language in order to create an authentic reality in the photo. About the works of Hildegard Ochse Klaus Honnef wrote to the curator of the exhibition, Tina Sauerlaender, “My thoughts and definitions of Autorenfotografie apply to the work of photographer Hildegard Ochse more than to the works of so called Kunstfotografie (artistic photography), which has embraced my concept completely.” 

About the biographical part of the exhibition: 
The exhibition presents an extensive workup of the personal life of Hildegard Ochse (1935-1997), who came from a strict Catholic, middle-class and intellectual household. Her later friends included the art dealer Kurt Hans Cassirer and his wife and patron of the arts Eva Solmitz. As a 16-year-old in 1952, Hildegard Ochse traveled to the United States with a scholarship for gifted children. She graduated from high school in Rochester, New York in 1953. There, the world's first museum of photography—today called the George Eastman Museum—opened in 1949. In June 1953, Hildegard Ochse returned on the Italian passenger liner Andrea Doria to Europe. During this period, remarkable early photography came into existence. 
Another focus of the exhibition lies on Hildegard Ochses photographic environment during her time at Michael Schmidt’s Werkstatt für Photographie. Furthermore, the show supplements an extensive documentary about the life and work of Hildegard Ochse, as well as important documents rediscovered recently. 

Accompanying programme (in German only): 
Wednesday, December 2, 2015, 6 pm: 
Curator’s tour with Tina Sauerländer
Sunday, December 6, 2015, 2 pm:
Tour with biographical focus with Benjamin Ochse
Sunday, January 17, 2016, 3 pm:
Tour with Benjamin Ochse and Tina Sauerländer
For English guided tours please contact the curator Tina Sauerländer directly

Hildegard Ochse, Andrea Doria (New York Skyline), 1953
Hildegard Ochse, Andrea Doria (New York Skyline), 1953
Hildegard Ochse, aus der Serie „Derental“, 1984
Hildegard Ochse, aus der Serie „Gastland Bundesrepublik Deutschland“, 1983
Hildegard Ochse, aus der Serie „Gastland Bundesrepublik
Deutschland“, 1983
Hildegard Ochse, aus der Serie „Kreta“, 1979
Hildegard Ochse, aus der Serie „Kreta“, 1979
Hildegard Ochse, New York (Greyhound), 1952
Hildegard Ochse, New York (Greyhound), 1952
Hildegard Ochse, aus der Serie „Stadtvegetation“, 1979
Hildegard Ochse, aus der Serie „Stadtvegetation“, 1979
Porträt von Hildegard Ochse, Rochester, NY, USA, 1952 (Fotograf unbekannt)
Porträt von Hildegard Ochse, Rochester, NY, USA, 1952
(Fotograf unbekannt)